Gedanken zum Monatsende Mai 2018: Italien
In den letzten 72 Jahren, seit dem zweiten Weltkrieg, hatte Italien 66 Regierungen. Die 67te lässt derzeit auf sich warten. Allerdings hat der ständige Regierungswechsel in Italien wohl Methode, ohne dass es allzu chaotisch zu geht. So hat sich über einen langen Zeitraum eine relativ kleine Polit-Clique immer wieder abgewechselt. Am längsten war Berlusconi mit mehr als 9 Jahren an der Macht. Für mich wirken die ständigen Regierungswechsel und Neuwahlen trotzdem befremdlich.
Italien ohne Regierung
Allerdings sind diejenigen, die jetzt versucht haben eine Regierung zu bilden, sehr unerfahren, was das Regieren betrifft. Sollte es zu Neuwahl kommen, ist nicht ausgeschlossen, dass die europafeindlichen Parteien Lega (will die Abspaltung Norditaliens von Süditalien) und die Fünf-Sterne-Bewegung (Anti-EU-Partei des Kabarettisten Beppo Grillo) noch mehr an Stimmen gewinnen. Die Nachrichten tendieren zu der Aussage. Wobei Wahlprognose einer höheren Ungenauigkeit unterliegen, als sie häufig den Anschein geben.
Die Unsicherheit keine Regierung zu haben, sollte für die meisten Unternehmen und damit auch für Investoren in Italien eigentlich keine Rolle spielen. Es gibt sehr gute italienische Unternehmen, wie zum Beispiel De’Longhi, die mit der Unsicherheit durch Regierungswechsel seit Jahrzehnten leben. Auch wenn man die Unsicherheit im letzten Jahr in Deutschland bei der Regierungsfindung betrachtet, konnte man keine Auswirkung auf die Börsen feststellen.
Europa- und Eurokrise
Dagegen wird die EU-Feindlichkeit in Kombination mit hohen, nationalen Sozialversprechen von vielen Marktteilnehmern negativ gesehen. In abgeschwächter Form ist es die gleiche Rhetorik, die auch den BREXIT geprägt hat. Diesen halte ich für Europa und zu einem größeren Grad für Großbritannien für extrem schädlich. Und an alle Befürworter der EXIT-Lösungen: Die Versprechen, die die EU-Gegner hinsichtlich der Einsparungen und Sozialgeschenke in England gegeben haben, können voraussichtlich nicht eingelösten werden.
Durch das Verhalten des europafreundlichen Staatspräsidenten Sergio Mattarella, die Regierung nicht zustanden kommen zu lassen, könnte Italien mit noch stärkeren europafeindlichen Parteien in einen Austritt aus der EU oder des Euros taumeln. Ein ITAL- oder ITEXIT wäre aus meiner Sicht das Ende eines vereinigten Europas und ein Rückschritt in unserer zivilisatorischen Entwicklung.
Der Grundgedanke der EU ist nicht schlecht
Ich halte das Überwinden von Nationalstaaten und eine Organisation in starken Regionen mit übergeordneten, staatsähnlichen demokratischen Instituten für ein erstrebenswertes Ziel. Ähnlich wie in der Schweiz zwischen Kantonen und Bund muss aber das Machtverhältnis klar definiert sein. Dies ist in der EU derzeit nicht der Fall, was es einfach macht, diese zu kritisieren und sich ihre Abschaffung zu wünschen.
Erstrebenswert wäre eine enge Zusammenarbeit mit entsprechender Arbeitsteilung und auch Risikoausgleich zwischen den Regionen mit klaren übergeordneten Regeln hinsichtlich Rechtsstaatlichkeit, Handel, Finanzen und Sicherheit. Ohne Hass und Gewalt. Mit gleichzeitig hoher Autonomie, wenn es um die konkrete Ausgestaltung auf regionaler Ebene geht.
Der Grundgedanke der EU geht in diese Richtung, deswegen sollten wir uns daran machen, die EU weiterzuentwickeln, anstatt zu versuchen, sie abzuschaffen.