money in a abstract colorful way

Erkenntnisse aus 2022

2022 gab es viele Themen, die einen als Investierenden beschäftig haben und an denen man lernen konnte. Einige dieser Themen beschäftigen mich auch heute noch. So gab es im letzten Jahr einige Beobachtungspunkte, die ich noch nicht in ein großes Bild einfügen konnte, sodass für mich eine wichtige Erkenntnis ist: die Unsicherheit auf der Welt hat deutlich zugenommen.

Um meine eigene Unsicherheit zu verkleinern, möchte ich im Folgenden auf mein Investmentverhalten und meine Erkenntnisse aus dem Jahr 2022 eingehen. Der Text stammt größtenteils aus meinem Jahresabschluss, den ich in diesem März erstellt habe. Ich werde nicht namentlich auf Einzelinvestments eingehen. Meine Performance 2022 war schlecht und hat nicht meinem eigenen Anspruch genüge getan. Umso wichtiger ist es sich zu hinterfragen. Dies möchte ich zu einem gewissen Grad öffentlich tun, um euch an meiner Entwicklung teilzuhaben, aber auch um durch Feedback noch besser zu werden.

Das Offensichtliche:

Zuerst einmal die für mich offensichtlichen Beobachtungen. Märkte mit in der Breite fallenden Kursen sind nicht einfach. Aber ich sehe momentan keine Systemkrise, die dauerhaft, wie die große Finanzkrise 1929 oder 2008/09, die Kapitalmärkte und damit die reale Wirtschaft belasten. Im Gegenteil: Die meisten Unternehmen signalisieren mir, dass diese Krise zu den kleineren gehört. Alle vorlaufenden Wirtschaftsdaten deuten auf eine fallende Inflation hin. In dieser Hinsicht bleibe ich voll investiert, da eine Trading-Strategie, mit der man versucht, im richtigen Moment aus dem Markt auszusteigen und wieder einzusteigen, mit hoher Wahrscheinlichkeit fehlschlägt.

Nichtsdestotrotz scheint 2022 der längste Bullenmarkt aller Zeiten zu enden. Damit meine ich nicht den Aktienmarkt, sondern den Markt für festverzinsliche Wertpapiere. Zinsen sind 40 Jahre lang gefallen und damit die Preise für Anleihen gestiegen. Die allgemeine Verschuldung (Staat, Private & Unternehmen) in den USA ist vom historisch langfristigen 1,1-fachen BIP 1985 auf das 2,5-fach BIP heute angewachsen. Dieser Trend scheint zu Ende zu sein und beeinflusst die Bewertung aller Wertpapiere in der nächsten Dekade. Tendenziell werden Bewertungen eher kleiner werden, umso höher die Renditen sind. Das heißt, noch mehr darauf zu achten, dass man nicht zu viel für Unternehmen bezahlt. Dies ist etwas, was meinem Charakter entgegenkommt.

Das Ende einer Ära:

Ich bin in den 90er Jahren groß geworden. Der damalige Grundtenor war: Globalisierung ist gut! Es gibt keine Blockbildung mehr, Militär zur Landesverteidigung ist eigentlich überholt und Europa ist geprägt von Vereinigung. Dieses Bild wurde 2016 durch den Brexit und Trump angekratzt und im letzten Jahr durch den Einmarsch von Putins Russland in die Ukraine und dem folgenden Stellungskrieg zerstört. Mein Bild von der Welt hat sich im letzten Jahr radikaler geändert als durch die Pandemie. Seit der Finanzkrise bewegt sich die Welt von offenen zu geschlossenen Gesellschaften. Eine Entwicklung, die ich als Investor akzeptieren muss, aber gegen die ich mich im Privaten stellen kann. Ich bin immer noch überzeugt, dass eine globalisierte, freie und friedliche Welt für alle Länder und die meisten Menschen besser ist als Abschottung und Nationalismus. Meine Erkenntnis daraus: der aus meiner Sicht bessere Weg, ist nicht unbedingt der realexistierende Weg; nicht mal unbedingt der Weg, auf den die Welt zustrebt. Für das Portfolio bedeute dies: Nationale Unternehmen haben einen Vorteil. Militarisierung kommt wieder in Mode. Ausgaben für die Armee, Sicherheit und Verteidigung werden erhöht. Unternehmen, die in diesem Sektor tätig sind, sind vielversprechende Investments. Trotzdem werde ich hier aus moralischen Gründen nicht investieren.

China und politische Risiken:

Des Weiteren hat im Kontext der Antiglobalisierung die Spannung zwischen China und der westlichen Welt insb. USA weiter zugenommen. Die politischen Risiken, denen man lange keinen Wert zugesprochen hat, wirken sich massiv auf chinesischen Unternehmen aus. Direkt betroffen ist dabei eine neue Position im Portfolio: Dieser chinesische E-Commerce Gigant ist tatsächlich mein erstes top-down Investment, also eines, bei dem die Überlegung im Mittelpunkt steht, wie profitiert man am besten von dem negativen chinesischen Sentiment. Die Erkenntnis 2021 „politische Risiken haben wieder einen Wert“ führte 2022 zu der Überlegung, was wenn diese politischen Risiken und Krisen einen zu hohen Wert bekommen und dies wiederum zu der Anpassung im Portfolio.

Die Krise, die wir zurzeit sehen, ist keine Wirtschaftskrise, wie 2008/09, es ist eine politische Krise, die Auswirkungen durch die Energiepolitik oder Sanktionen auf die Wirtschaft hat. Das Wirtschaftssystem läuft anders als 2008/09 weiter. Die meisten Unternehmen, mit denen ich spreche, signalisieren mir, dass die Krise für sie deutlich kleiner ist als 2008/09 bzw. selbst als Corona. In dieser Hinsicht bin ich optimistischer als der Markt. Dies gilt auch für die chinesische Wirtschaft, die nach der Corona-Öffnung nicht schlechter dasteht als 2019.

Offensiv oder defensiv? Und wie kauft man eigentlich nach?

Mein Portfolio ist langfristig (5+ Jahre) und konzentriert aufgestellt, d.h. es wird starke Schwankungen in den Aktienkursen und in der Performance des Portfolios geben. Solange sich die Unternehmen innerhalb des Portfolios operativ gut entwickeln, habe ich keine Probleme mit den kurzfristigen Schwankungen. Allerdings war das Timing 2022 vor mir schlecht. Meine Erkenntnis ist, dass ich zu früh in einen offensiven Modus gewechselt bin. Zwar waren die meisten Käufe und Verkäufe nach dem völkerrechtswidrigem Einmarsch Russlands in die Ukraine, aber noch vor dem Sommer. Seitdem hat die relative negative Performance des Portfolios zugenommen. Bis zum 31.03.2022 war meine Performance ausgeglichen zum DAX, danach nicht mehr. Mit ein Grund war der größere Anteil von Technologie- und kleineren Unternehmen, die sich schlechter entwickelt haben. Exemplarisch für beides steht ein online Weinclub in meinem Portfolio. Das Unternehmen, welches den größten negativen Beitrag zum Portfolio geleistet hat. Hier habe ich zu früh zu viel nachgekauft. Neben einem Fehler, der mit in der Analyse passiert ist, habe ich auch zu aggressiv im fallenden Markt gekauft. Eine Erkenntnis aus dem Desaster mit dem Unternehmen ist: mich strikter an meine Nachkaufregeln zu halten. Ich habe die Richtline bei 20% Kursverlust, die Position einmal um 50% aufzustocken und bei weiteren 50% Kursverlust, ein weiteres Mal um 50% (des ursprünglichen Investments) aufzustocken. Immer unter der Prämisse, dass sich an der ursprünglichen These nichts geändert hat. Sodass man das ursprüngliche Investment, wenn man nicht verkaufen möchte, nach 60% Kursverlust einmal verdoppelt hat und im Mittel nur 42% im Minus ist. -60% zu -42% klingt erst einmal nicht nach viel, im Anstieg zur Nulllinie zeigt sich aber, dass der Unterschied gravierend ist: um -60% auszugleichen braucht man +150% Kursanstieg; um -42% auszugleichen braucht man mit +72% weniger als die Hälfte Kursanstieg.

Die Inflation:

Neben den politischen Krisen, war 2022 vor allem durch Inflation und damit einem entsprechenden Zinsanstieg geprägt. Dies war aus meiner Sicht der größte negative Faktor für die Wirtschaft und auch die Börse. Auf der einen Seite, da es für Unternehmen deutlich schwieriger ist, Geld zu bekommen und auf der anderen Seite, da die Bewertung der zukünftigen Gewinne abnimmt. Die Inflation wird vermutlich auch noch bis Mitte 2023 hoch sein.  Die Erkenntnis daraus ist keine neue: Der Spatz in der Hand hat einen größeren Wert als die Taube auf dem Dach. Für das Portfolio und meine Anlagestrategie ändert sich dadurch nichts. Auch wenn die Performance 2022 nicht gut war, sind die Unternehmen im Portfolio gut aufgestellt.

Fazit:

2023 ist bei mir gut gestartet und ich habe bisher auch wenig Anpassungen am Portfolio vorgenommen oder das Gefühl gehabt, Veränderungen vornehmen zu müssen. Selbst die Bankenkrise hat mich unbeeindruckt gelassen. Das lag zum einen, daran, dass ich keine klassischen Banken im Portfolio habe und auch nicht kaufen werden. Zum anderen daran, dass das Problem aus meiner Sicht weniger systemisch erschien als 2008/09. Hier kann ich mich irren, ich bleiben aber momentan weiterhin offensiv aufgestellt.

Ich hoffe, mit der kleine Lektüre helfen zu können und würde mich über Feedback oder eure Erkenntnisse aus 2022 freuen.